"Lesen Sie, warum meine erste Reise mit dem Wohnmobil meinen Horizont erweitert hat". Ein Reisebericht von Dominic Graf, Redakteur beim Touring.
Sternehotel, Poolbar, Zimmerservice, Themenrestaurants – so verbrachte ich bisher meine Ferien. Sich um nichts kümmern und sich bedienen lassen. Dementsprechend entgeistert fällt meine Reaktion aus, als meine Frau vorschlägt, die nächste Reise mit dem Wohnmobil zu unternehmen. Campieren, ich? Böse Jugenderinnerungen an unbequeme Zeltnächte, unerträgliche Morgenhitze und wackelige Klappstühle werden wach. Mit dem Wohnmobil sei das anders, versichert sie mir und erzählt von Erlebnissen während ihrer Kindheit und Jugend. Mit ihrer Familie verbrachte sie fast alle Ferien im Camper. Sie muss es also wissen und schafft es schliesslich, das Feuer auf mich zu übertragen. Ich stimme den Campingferien zu – unter einer Bedingung.
Damit ich mich in geschütztem Rahmen vorbereiten kann, so meine Bedingung, verbringen wir die erste der drei Wochen in der Schweiz. Eine Übungswoche, sozusagen. Der TCS Camping Lugano-Muzzano eignet sich perfekt dafür. Nicht allzu fern von zu Hause kann ich mich an die Gegebenheiten, das Fahrzeug und all die Kleinigkeiten, an die man denken muss, gewöhnen. Der Stromanschluss ist in einem Kasten neben der Parzelle – Licht, Kühlschrank und sogar die Kapselkaffeemaschine von zu Hause funktionieren. Das Gas brauchen wir vorerst nicht, der kleine Kohlegrill reicht als «Küche». Die sanitären Anlagen sind sauber, das Personal ist freundlich, die Nachbarn hilfsbereit, und der Luganersee ist Ende August wohltuend erfrischend. Von Tag zu Tag fühle ich mich wohler, und die einstigen Bedenken weichen einem Gefühl, das ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einordnen kann.
Ich fühle mich bereit für mehr. Meine Frau sowieso. Unser erstes Ziel im Ausland ist ein Campingplatz am Gardasee. Bei der Ankunft aber ein erster Wermutstropfen: «Sorry, we are full», begrüsst uns ein braungebrannter Mann mit italienischem Akzent. Was jetzt? Auf so etwas konnten wir uns während der Übungswoche nicht vorbereiten, und in mir kommt die Sehnsucht nach den gewohnten Hotelferien auf. Meine Nervosität erweist sich jedoch als unnötig, denn der freundliche Herr nennt uns gleich einen Camping in der Nähe, der noch freie Plätze habe. Tatsächlich können wir nach nur fünf Minuten Fahrt an der Rezeption des Eurocamping einchecken – und durchatmen, zumindest für einen kurzen Moment.
Bis zum nächsten Schrecken dauert es nämlich nicht lange: Der Fiat Ducato röchelt verdächtig beim Einrangieren in den Stellplatz. Vielleicht habe ich während der gut dreistündigen Fahrt auf der Autobahn etwas zu fest aufs Gas gedrückt. «Das ist halt nicht wie mit deinem Golf», sagt meine Frau, «viel mehr als 100 km/h liegen nicht drin. Und das reicht doch. Wir haben ja keinen Stress.» Auch wenn es banal klingt, wird mir klar, dass der Weg beim Campen auch ein Ziel ist – egal ob mit 100 oder 130 Sachen.
Und da ist es wieder, dieses Gefühl. Es wird stärker.
Der Camping ist schön gelegen, die Pinien zwischen den Stellplätzen spenden Schatten, und der See liegt vor der Tür. Verschiedene Freizeitparks befinden sich in Gehdistanz, und natürlich verbringen wir – als Achterbahnfans – einen Tag im Gardaland. Eigentlich unterscheidet sich der Platz nicht sonderlich von jenem in Lugano – bis auf einen kleinen Unterschied: Es gibt kein WC-Papier in den sanitären Anlagen. Das sei hier so, erklärt uns der niederländische Nachbar mit einem Schmunzeln. Mit der Klopapierrolle über den Campingplatz gehen zu müssen, unter strenger Beobachtung der Leute, die vor ihren Wagen sitzen, ist mir peinlich. Aber es ist halt so, auch daran kann man sich gewöhnen. Nach zwei Nächten räumen wir unsere Sachen schon ziemlich routiniert zusammen und machen uns auf den Weg gen Westen. Nicht wegen des fehlenden WC-Papiers – das wird auf allen Campingplätzen so sein, die wir besuchen –, sondern wir wollen ans Meer. Das Ziel: die Côte d’Azur.
Nach einer Übernachtung bei Genua erreichen wir den Campingplatz Les Mûres in Grimaud. Schon bei der Ankunft haut es uns im wahrsten Sinne des Wortes aus den Socken. Etwa 20 Meter vom Sandstrand platzieren wir das Wohnmobil auf der Parzelle 152, richten uns ein, öffnen eine Flasche Wein und geniessen den Blick auf die Bucht von St. Tropez. Herrlich! Weil der Sand bis zu unserem Platz reicht, können wir unsere Schuhe für den ganzen Aufenthalt verstauen. Bei durchschnittlich knapp 30 Grad und Sonne sind Flip-Flops und Badehose praktisch die einzigen Kleidungsstücke, die wir brauchen.
Les Mûres ist ein grosser, durch eine Strasse geteilter Viersterne-Campingplatz. Die 637 Stellplätze und rund 100 Bungalows befinden sich entweder in einem Kiefernwald oder auf der Strandseite, direkt am Meer. Wir haben Glück und ergattern den letzten freien Platz am Strand. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte frühzeitig reservieren. Mit knapp 50 Euro für zwei Personen ist er sicher nicht der günstigste Campingplatz. Aber die Lage und die Infrastruktur rechtfertigen den Preis. Nur das WLAN für zehn Euro für drei Tage scheint uns überrissen teuer.
Sechs Nächte verbringen wir hier. Ausser einem Ausflug nach St. Tropez vertreiben wir uns die Zeit auf dem Camping. Obwohl ich ein «Gfrörli» bin, gehe ich direkt nach dem Aufstehen ins Meer, das am Morgen noch 23 Grad warm ist. Bei frischem Baguette aus dem Supermarkt frühstücken wir bis in die Mittagszeit. Fixe Essenszeiten wie im Hotel gibt es nicht, und das ist schön. Am Nachmittag lassen wir uns die Sonne auf den Bauch scheinen, spielen Scrabble, sinnieren über das Leben und schwelgen in den gerade erfahrenen Erinnerungen. Aufgrund der Trockenheit ist das Grillieren mit Kohle hier verboten. Wir wagen es trotzdem und ernten, noch bevor das Fleisch auf dem Grill ist, eine saftige Standpauke. Also zaubern wir uns mit dem Gasherd im Auto ein leckeres Abendessen auf den Klapptisch. Flexibilität gehört zum Camping dazu, das weiss ich jetzt. Spät abends lauschen wir auf der Picknickdecke am Strand den seichten Wellen und versuchen, Sternbilder zu erkennen.
Wehmütig nehmen wir nach einer Woche Abschied von Les Mûres und machen uns auf den Heimweg. Durch die malerische
Provence und das Burgund führt uns der Weg zu unserem letzten Halt, ein kleiner Campingplatz bei Beaune. Mittlerweile sind wir so eingespielt, dass der Auf- und Abbau ruckzuck läuft. Das Zusammenspiel aus Routine, Spontanität und Flexibilität ist mir ins Blut übergegangen und, ohne dass ich es wirklich bewusst merke, fühle ich mich plötzlich als Camper.
Jetzt kann ich auch das Gefühl, das auf der ganzen Reise immer stärker wurde, benennen: Es ist Freiheit. Nicht die Freiheit, ungebunden und spontan sein zu können, sondern eine geistige Befreiung von Eitelkeiten, Allüren und Alltagsgewohnheiten. Sei es, mit 100 auf der rechten Autobahnspur entspannt den Dränglern auf der Linken zuzuschauen oder mit erhobenem Haupt mit dem Klopapier in der Hand, ein paar «Bonjours» verteilend, über den Platz zu schreiten. Das waren mehr als bloss Ferien, das war eine Horizonterweiterung. Und es wird nicht die letzte gewesen sein, sage ich zu meiner Frau. «Ich hab’s ja gesagt», antwortet sie mit einem Siegerlächeln. Und für einmal liebe ich sie dafür, dass sie recht hatte.
Campieren in der Schweiz ist nicht dasselbe wie im Ausland. Folgend ein paar Erkenntnisse aus Norditalien und Südfrankreich:
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