Von der Form her erinnert der Müther-Turm an einen freundlichen Alien, der zufällig an der Binzer Strandpromenade gelandet ist. Ab 1982 schoben zu DDR-Zeiten Rettungsschwimmer drinnen Wache und fingen sich oft eine Angina ein. Da es im Turm schnell heiss wurde, hatten sie ständig Tür und Fenster geöffnet, was Zugluft zur Folge hatte. Heute ist das denkmalgeschützte Bauwerk eine Aussenstelle des Binzer Standesamtes und beliebt bei heiratswilligen Paaren, aber auch gefragt als Fotomotiv.
Müther-Bauten sind Kult
Der Binzer Bauingenieur Ulrich Müther liess Beton filigran aussehen, ein bisschen so wie Origami-Werke. Seine dünnwandigen Schalenbauten krümmen oder winden sich empor, sehen geometrisch aus, trichterförmig, zackig oder eben ausserirdisch wie der 2018 sanierte Turm. Der 1934 geborene Landbaumeister, so nannte er sich und nicht Bauingenieur, arbeitete mit sogenannten Hyparschalen, die sich vom Fachausdruck «hyperbolische Paraboloidschalen» ableiten. Dabei handelt es sich um doppelt gekrümmte, wenige Zentimeter dicke Betonflächen mit grossen Spannweiten, die höchst stabil sind. Müther brachte die bereits seit den 1920er-Jahren existierende Schalenbauweise zu neuer Blüte.
Kreidefelsen oder der Nationalpark Jasmund – viele lockt die Natur nach Rügen, doch auch die Architektur ist sehenswert. 19 Müther-Werke standen auf der Insel, doch seit den 1990er-Jahren wurde ein Viertel davon abgerissen, zweckentfremdet oder sie verfielen.
Zum Glück blieb die Kurmuschel von Sassnitz erhalten, denn sie bereichert den Erholungsort mit grossem Hafen auf der Halbinsel Jasmund im Norden der Insel. Flankiert von zwei Garderobenhäuschen mit Bullaugen wirkt der Bau von vorn wie ein Pilz, der aus dem Boden wächst, und von hinten wie eine enorme Walflosse. Wie der Turm strahlt auch der Musikpavillon eine gewisse Liebenswürdigkeit aus. Hier wirkte Müther an der Statik mit und nahm so Einfluss auf die Form, während der Entwurf von Dietmar Kuntzsch, Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee, und vom Statiker Otto Patzelt sowie von Architekturstudenten der Hochschule stammte.
Fast etwas bedrohlich wirkt dagegen die Ostseeperle in Glowe. 1968 hatte Müther den markanten Dreicksbau aus Beton, Stahl und Glas am beliebten Strand des damaligen Fischerorts gebaut. Es sollte ein Begegnungszentrum mit Café und Restaurant für die Bewohner ausserhalb der Sommersaison sein. Zu DDR-Zeiten so populär, dass die Verweildauer auf jeweils 45 Minuten begrenzt werden musste, stand der einstige Vorzeigebau der DDR nach der Wende lange leer, bis Arne Knaak kam. Noch von Ulrich Müther beraten, der 2007 73-jährig starb, setzte der aus dem Ruhrgebiet stammende Architekt die Ostseeperle wieder instand und erweiterte sie 2008 um einen Neubau mit Ferienapartments. Heute ist sie wieder so beliebt wie früher. Ohne Reservation besteht im Restaurant keine Chance auf einen Tisch. Kein Wunder, sieht man doch an klaren Tagen von der Terrasse bis Kap Arkona.
Ferien in einem Monument mit Geschichte
Von den schicken Prora-Solitaire-Ferienwohnungen blicken Urlauber auf Schwimmbecken und ein schmales Küstenwäldchen. Dahinter lockt ein 14 Kilometer langer Strand zwischen Binz und Sassnitz Sonnenanbeter und Schwimmer an. Wo sich heute gestresste Städter vom Alltag erholen, sollte während des Dritten Reiches das gigantische Feriendorf Prora für die NS-Organisation «Kraft durch Freude» entstehen. In unberührter Landschaft in einer der schönsten Buchten der Insel planten die Nationalsozialisten acht aneinandergereihte identische, sechsgeschossige Bettenhäuser, die jeweils 550 Meter lang waren. Alle Zimmer waren 4,75 mal 5 Meter gross und sollten einheitlich nach modernstem Standard eingerichtet werden. Der Architekt Clemens Klotz – sein Name war Programm – hatte auch Restaurants, Wellenbäder, eine Post, ein Spital oder ein Elektrizitätswerk entworfen. 20 000 Menschen sollten im neuen Seebad zugleich Ferien machen. Doch dazu kam es nicht, denn 1939 brach der Krieg aus und die 2000 Arbeiter wurden woanders gebraucht. Fertiggestellt waren die acht Bettenblöcke, Ankunftshalle, Post und zwei Angestelltenhäuser. Wer heute im Rahmen einer Führung die seit 1994 unter Denkmalschutz bestehende Anlage besucht, staunt über die riesigen Gebäude. Das war Kalkül. Die gigantischen Dimensionen sollten die einzelnen Urlauber, die in Massen hierher gekarrt worden wären, einschüchtern und noch empfänglicher für die Nazi-Ideologie machen. Dazu hätte vermutlich auch die Tatsache beigetragen, dass Prora selbst für einfache Arbeiter erschwinglich gewesen wäre.
Während des Krieges diente der Koloss als Unterkunft für Polizeibataillone, Zwangsarbeiter und als Lazarett. Nach 1945 kamen Flüchtlinge aus dem Osten unter, und ab 1962 war Prora die grösste Kasernenanlage der DDR. Nach der Wende wurde die Bundeswehr Besitzer, die aber den Standort bald aufgab. In einem Gebäude entstand das Dokumentationszentrum Prora, der Rest verfiel weiter.
Teurer Blick auf die Ostsee
Ab 2004 wurde Prora nach und nach zum Verkauf freigegeben und damit zum Spekulationsobjekt. Bis auf den Block 5 im Norden, der dem Landkreis Vorpommern-Rügen gehört und in dem eine Jugendherberge untergebracht ist, sind in den restlichen Bettenhäusern Ferien- und Mietwohnungen entstanden. Es gibt auch Läden und Restaurants. Der Blick auf die Ostsee ist begehrt. Je nach Wohnung kostet der Quadratmeter bis zu 6500 Euro. Während die Kaianlage und die Ankunftshalle noch wie damals erhalten sind, haben sich die im für die Nazizeit untypischen Stil der klassischen Moderne erbauten Bettenhäuser komplett verändert. An manchen Stellen kann man aber noch zusehen, wie das triste Braun aus den Übergangszeiten mit strahlendem Weiss übermalt wird.
Die Reise wurde unterstützt vom Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, von der Tourismuszentrale Rügen und von Railtour Suisse.
GUT ZU WISSEN
Anreise: z. B. Flug nach Berlin, von dort mit dem Direktzug nach Binz
Reisezeit: Rügen ist eine Ganzjahresdestination.
Ulrich Müther: Themenwoche 19. bis 25. September 2020: Ausstellungen, Führungen usw.
binzer-bucht.de/veranstaltungen
Dokumentationszentrum Prora: proradok.de
Anbieter: Railtour Suisse hat Rügen im Programm. Z.B. 7 Nächte für 2 Pers. inkl. Bahnreise im Cliff Hotel Rügen, Sellin, ab 710 Fr. p. P.
railtour.ch
Text : Juliane Lutz
Fotos : Juliane Lutz, Fotoart Mirko Boy, Ruegenfotos.de, Maik Juch
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