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22.11.2021

Wo kommen eigentlich die Stimmen her?

Pendlerinnen und Pendler hören sie täglich, Freizeitreisende gelegentlich – Durchsagen, die über Gleisänderungen oder den nächsten Halt informieren.
22. November 2021

Während der Beruf der Ansagerin früher viel Reaktionsvermögen verlangte, kreiert längst ein digitales System die notwendigen Informationen. Aber es wird auch noch live gesprochen.

in Journalist der «SBB-Zeitung» beschrieb ihre Stimme einmal als so «ansteckend freundlich, als wollte sie jeden einzelnen Fahrgast begrüssen». Unzählige Zürcherinnen, Zürcher und Auswärtige, die im Hauptbahnhof ankamen oder abfuhren, hörten über dreissig Jahre Esther De Carlo mit Charme Ankünfte und Anschlüsse von Zügen ansagen.

Schnell und mehrsprachig
1966 hatte sich die Sekretärin aus dem Bereich Eilgut auf die neu geschaffene Stelle einer vollamtlichen Ansagerin im ganz neuen Zürcher Zentralstellwerk beworben. Nach ein paar vorgesprochenen Worten am Telefon hatte sie den Job. Sobald ein Signal an der grossen Tafel im Stellwerk die Öffnung eines Gleises anzeigte, legte sie los. Ihre Freiheiten waren begrenzt, denn die Sätze waren nach einem Regelwerk für einheitliche Lautsprechermeldungen in vier Sprachen vorformuliert. Doch war es alles andere als ein Routinejob, da es ständig Änderungen gab. Besonders in den noch kalten Wintern, wenn ­Weichen regelmässig eingefroren waren. «Ich mochte meine Arbeit sehr, bis auf die Momente, wo ich Wartende mit dem Satz ‹Die genaue Ankunftszeit und das Gleis werden später bekannt gegeben› vertrösten musste», sagt die heute 79-Jährige. Mehrsprachigkeit war eine Grundvoraussetzung. Je nachdem, wohin der Zug fuhr oder woher er kam, musste sie den Satz auch auf Französisch, Italienisch oder Englisch sagen. Fliessend Französisch sprach sie. Um fitter in Italienisch und Englisch zu werden, belegte sie auf eigene Faust in den zwei Ländern jeweils für ein halbes Jahr Sprachkurse. Einen wichtigen Rat gab ihr die Fernsehansagerin Dorothea Furrer, bei der sie Unterricht in Atem- und Sprechtechnik nahm. «Stellen Sie sich vor jeder Ansage eine sympathische Person vor, der Sie etwas erzählen wollen», erinnert sich Esther De Carlo, die 1997 in den Ruhestand ging.

Nur noch eine Stimme
Die Zeiten, in denen die unterschiedlichsten Stimmen aus den Bahnhof­lautsprechern in der Schweiz ertönten, scheinen heute Lichtjahre entfernt. Längst gibt es nur noch eine sogenannte ÖV-Stimme in verschiedenen Sprachen. Aufmerksame Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer haben vermutlich schon bemerkt, dass sich die Ansagen in der Deutschschweiz, im Tessin und auf Englisch seit letztem Jahr anders anhören als zuvor. Da die Software, welche die Durchsagen und Anzeigen in Bahnhöfen steuert, in die Jahre gekommen war, entschieden sich die SBB für die neue digitale Text-to-Speech (TTS)-Lösung. Dabei müssen Satzfragmente und Worte nur noch einmal pro Sprache aufgenommen und digitalisiert werden und können dann beliebig zu Aussagen zusammengesetzt werden. Ausserdem erlaubt die TTS-Lösung ­verständlichere Durchsagen sowie einen natürlicheren Sprachrhythmus. In den zwanzig Jahren zuvor mussten Sätze und Worte, die für neue Durch­sagen benötigt wurden, jährlich auf­genommen und zu Audiosequenzen zusammen­gebaut werden. Aus Kosten- und Qualitätsgründen schienen auch Neuauf­nahmen der ÖV-Stimmen angebracht. Professionelle Sprecherinnen, die bereits im Einsatz waren, und neue Bewerberinnen mussten sich einem Casting unterziehen. Gut zu verstehen, angenehm und sympathisch tönend ­sowie geeignet für das neue technische System – das waren, kurz gesagt, die Kriterien, nach denen die Fachjury entschied. Während für die Durchsagen auf Deutsch, Italienisch und Englisch neue Sprecherinnen gewählt wurden, informiert in der Romandie dieselbe Stimme wie seit zwanzig Jahren, welcher Zug einfährt oder ob es eine Gleisänderung gibt.

Seit Herbst 2020 wird die neue ÖV-Stimme schrittweise in allen SBB- und BLS-Bahnhöfen eingeführt. Wer die Personen hinter den Stimmen sind, die im Pendlerland Schweiz täglich so viele hören, darüber bewahren die SBB aus Datenschutzgründen allerdings Stillschweigen.

Noch «live» im Fernverkehr
Nicht nur in Bahnhöfen gibt es die «Stimme vom Band». Auch in den rund 140 Zügen der BLS etwa werden fix programmierte, makellose Durchsagen anhand von Distanztriggern ausgelöst und laufen automatisch ab. An andere Stimmen gewöhnen müssen sich die rund 46 Millionen Reisenden, die pro Jahr mit der BLS unterwegs sind, nicht. Die Sprecherinnen, die bereits seit zwei Jahrzehnten für Aufnahmen von Textfragmenten, Wörtern und aktuellen Neuerungen eingesetzt werden, sind weiterhin für das Unternehmen tätig.

Zwar sind die Ansagen vorformuliert, aber ein klein wenig schimmert im ­Fernverkehr die Persönlichkeit der SBB-­Kundenbegleiterinnen und ­-begleiter durch. Je nach Stimmlage, Temperament und Mundart der ­sprechenden Person, die gerade live den nächsten Halt durchgibt. Und wie Dorothea Furrer sagte, hören die Passagiere, wenn mit Freude ins Mikrofon gesprochen wird.

Text: Juliane Lutz
Foto: Philippe Rawyler
Illustration: Nicolas Kristen

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