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01.06.2022

Eine Strecke mit Tücken

Der Sustenpass zwischen Innertkirchen und Wassen ist einer der schönsten, aber auch un­­fallreichsten der Schweiz.
01. Juni 2022

Auf der anspruchsvollen Strecke verkehren an Spitzentagen über 2000 Fahrzeuge pro Stunde. Ein Augenschein mit der Polizei und dem Strasseninspektorat.

Susten
Felsanker und Netze setzt Strassen­inspektor Peter Flück ein, um Felsstürze und Steinschlag zu verhindern.

In einer Rechtskurve nach Gadmen verunfallte Ende September 2021 ein Töfffahrer tödlich. ­Infolge des Ereignisses musste die 45 Kilometer lange Passstrasse mehrere Stunden gesperrt ­werden, meldete die Polizei. Einer von zahlreichen Unfällen am Susten, der zu einem der ­unfallreichsten zählt. Wenn auf der Berner Seite etwas passiert, rücken die Kantonspolizisten von Mei­ringen aus. Einer, der schon viele Unfälle ­aufgenommen und die damit verbundenen Tragödien miterlebt hat, ist Bezirkschef Fritz Thier­stein. Er leitet den Polizeibezirk Meiringen mit den drei Pässen Brünig, Grimsel und Susten. Auf der ­Wache Meiringen arbeiten zehn Polizisten, die von vier in Brienz stationierten Kollegen unterstützt werden. Gerade wegen der Pässe sei hier die Polizeiarbeit besonders interessant, aber ­wegen der Unfallschicksale auch belastend, sagt der erfahrene Polizist, der seit 1988 in Meiringen stationiert ist. Gehe der Sustenpass nach der Wintersperre auf, werde deutlich, die kurven­reiche Strasse zwischen Wassen und Innert­kir­chen ist Lebensader und Brotkorb für die Region Haslital. Für den Bezirkschef ist der Pass wegen seiner ­eleganten Linienführung und der einzigartigen Landschaft ein Juwel. Ähnlich sieht es auch der für den Susten zuständige Strasseninspektor Peter Flück-Urfer: «Die perfekt ins Gelände eingepasste Strasse ist ein bauliches Kunstwerk.» Inzwischen wurde der Bau im Inventar der historischen Verkehrswege als Objekt von nationaler Bedeutung eingestuft. Sie wurde zwischen 1938 und 1946 von 2000 Arbeitern – darunter auch polnische und italieni­sche Kriegsinternierte – gebaut. Gekostet hat die Strasse mit 22 Tunneln damals 32 Millionen Franken. Sie ist zwischen Gadmen und Wassen eine reine Touristenstrasse. Die panoramareiche und attraktive Passstrasse wirkt auf Ausflügler wie ein Magnet. An Spitzentagen sind über 2000 Fahrzeuge pro Stunde auf dieser ­anspruchsvollen und teilweise auch tückischen Strecke unterwegs. Sowohl die Mitarbeiter des Inspektorats als auch die Polizei fahren während der rund vier Monate dauernden Passsaison fast täglich rauf und runter.

Sonnen- und Schattenseiten

Susten
Die vielen Tunnel am Pass sind wegen der heiklen Lichtverhältnisse oft Ursache von Fahrfehlern.

Vor allem auf dem Abschnitt zwischen Gadmen und Steingletscher kennt der Bezirkschef beinahe jeden Kiesel. Alleine auf dieser rund acht Kilometer langen Strecke ereigneten sich gemäss der Astra-Unfallstatistik seit 2011 über 85 Verkehrsunfälle mit Schwerverletzten und Toten. Warum die Häufung? Polizist Fritz Thierstein hat dafür mehrere Erklärungen: «Die Lichtverhältnisse mit schnellen Wechseln zwischen Hell und Dunkel in den bewaldeten Abschnitten und bei den Tunneln irritiert die Lenker und können zu Fahrfehlern führen. Gerade im Spätsommer, wenn die Sonne tiefer steht, häufen sich hier die Unfälle.» Auch der Einfluss des Wetters inklusive Eis und Schnee auf der Fahrbahn werde unterschätzt. Denn selbst im Sommer könne am Pass Schnee fallen. Müdigkeit und auch Gereiztheit seien ebenfalls ein Thema: «Ferienrückkehrer sitzen bereits mt=/de/testberichte-ratgeber/broschueren-publikationen/touring-magazin/artikel/susten.php&pathCur=/de/testberichte-ratgeber/broschueren-publikationen/touring-magazin/formular/tourolino-wettbewerb.php&extensions=*&selecttype=fileehrere Stunden am Lenkrad, ­fahren gegen Ende der Reise noch über den Susten und dass da die Konzentration nachlässt, liegt auf der Hand», bemerkt er.

Susten
Radarmessungen helfen, die Sicherheit zu verbessern.

Am Fahrstil sei leicht zu erkennen, wie es um die Befindlichkeit des Lenkers stehe. «Heikle Stresssituationen ent­stehen, wenn beispielsweise langsame Fahrzeuge mit Touristen, die wegen der anspruchsvollen Passstrasse teils überfordert sind, Kolonnen verur­sachen. Nachfolgende Fahrzeuglenker werden ungeduldig und lassen sich zu riskanten Überholmanövern verleiten.» Als weiteren Grund nennt Thier­stein das Fahren mit der nicht an die Strassenund Sichtverhältnisse angepassten Geschwindigkeit. Die Folgen sind Kollisionen mit Wehrsteinen, Stützmauern sowie Stürze über die Böschung oder in den Wald, die meist ungut ausgehen. Dabei würden sich zu viele auf die heute ausgeklügelten Assistenzsysteme verlassen, die aber falsche Reflexe der Lenker nicht aus­bügeln können. Er appelliert auch an die Velofahrer, in Tunneln das vorgeschriebene Vorder- und Hinterlicht einzuschalten. Thierstein betont aber, dass die Unfälle während der letzten Jahre stagnieren.

Polizeipräsenz bremst Raser

Susten
Memorials erinnern an unschöne und ­belastende Ereignisse.

Die Polizeipatrouillen sind, so oft es der Dienstplan erlaubt, am Pass auch präventiv präsent. Stehen sie am Strassenrand, passt manch einer plötzlich seine Fahrweise an. Doch nicht nur schnelle Piloten hat die Polizei im Fokus. Auch zu langsam Fahrende winkt sie raus, um Kolonnen und Stress zu vermeiden. Zu weiteren präventiven Massnahmen gehören Fahrzeug- bis zu ­Geschwindigkeitskontrollen. Übrigens ist das Haslital die Region mit den meistgemessenen Geschwindigkeitsübertretungen des gesamten Kantons Bern. Sie würden sich schon als Freund und Helfer verstehen. Dabei komme es schon vor, dass sie einem ungeübten Lenker empfehlen, doch ein Fahrsicherheitstraining, etwa beim TCS, zu absolvieren, sagt der Bezirkschef.
Delikat werde es für die Polizei bei Unfällen, denn die Anfahrt mit Blaulicht und Sirene sei überaus anstrengend und äusserst anspruchsvoll. «Ich bin oft mit erhöhtem Puls an der Unfallstelle angekommen.» Gerade bei Schwerverletzten zähle jede Sekunde. Das belaste, denn sein Team sei von der Unfallaufnahme bis zur Betreuung der Angehörigen immer an vorderster Front. Auch die Memorials am Strassenrand wecken immer wieder Erinnerungen. Da komme mit den Jahren so einiges zusammen. So hat Thierstein jüngst sein Motorrad verkauft, weil er wegen der vielen Unfälle nicht mehr unbeschwert fahren könne. Wichtig sei die Nachbearbeitung von Ereignissen. Dabei sitze das Polizeiteam zusammen. «Je mehr man darüber reden kann, umso mehr lässt es einem los.» 

Naturgefahren eindämmen

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Seit Kurvenpfeile bei der Bäregg installiert sind, nehmen die Unfälle deutlich ab. Eine gemeinsame Massnahme von der Polizei und dem Inspektorat.

Damit am Pass keine Unfälle wegen Bauschäden oder Steinschlag passieren, arbeiten Strassen­inspektor Flück und seine 31 Mitarbeiter aus dem Werkhof Innertkirchen, welcher zum Strassen­inspektorat Oberland Ost gehört, viele Stunden am Pass. Alles mit dem Ziel, um verkehrssichere Strassen sicherzustellen. Die Aufgaben sind ­vielfältig: aufstellen von Signalisationen, reinigen der Strasse und Böschung, ausbessern von Winterschäden sowie kontrollieren der Kunstbauten wie Brücken, Stützmauern und Tunnel. Für die In­betriebnahme wendet sein Team über 200 Arbeitsstunden auf. In Bezug auf Natur­ge­fahren könne in dieser alpinen Umgebung trotz Lawinenverbauungen, Felssicherungen und Steinschlagnetzen keine hundertprozentige Si­cherheit garantiert werden. Sorge bereitet Flück die Häufung von Murgängen und Steinschlag. Achtsamkeit sei hier angebracht, um Ereignissen ­vorzubeugen.

Sicherheit ständig verbessern

Schwere Unfälle bedeuten viel ­Polizeiarbeit.

Die Polizei arbeitet eng mit dem Strasseninspektorat zusammen. Gerade wenn sich an einer Stelle Unfälle häufen, wird gemeinsam hingeschaut und Ursachenforschung betrieben. «Bei der Bäreggkurve gab es eine solche Häufung, ­worauf wir die Situation mit dem Inspektorat begutachteten», sagt Thierstein. Als Massnahme montierte das Inspektorat Kurvenleitpfeile, worauf es dort prompt kaum mehr Unfälle gibt. Ein weiteres Beispiel war ein auffälliger Stein in der Böschung, mit dem vor allem Motorradfahrer ­immer wieder kollidierten. Nach Absprache wurde dieser mit einem kurzen Baggereinsatz entfernt, und die schweren Unfälle nahmen dort ab. So wurden an mehreren Böschungen die Sturzräume optimiert. Er mache sich oft Gedanken, wie die Sicherheit am Pass verbessert werden könne. «Ich habe angeregt, die Sicherheitslinien zu entfernen und durch Leitlinien zu ersetzen.» Man müsse den Verkehrsteilnehmern die Selbstverantwortung zurückgeben. Denn bei einigen Abschnitten mit Sicherheits­linien wäre ein Überholmanöver möglich, doch mache man sich heute dabei strafbar. Für Ver­besserungen ist auch Inspektor Flück offen: «Gemeinsames Ziel muss die grösstmögliche Sicherheit sein.»


Am Pass gebe es aber nicht nur traurige, sondern auch Ereignisse zum Schmunzeln. Einer sei mit einem in eine Bar umgebauten VW Käfer ­unterwegs gewesen. Ein anderer habe rund um sein Auto ein äusserst gefährliches, hervorstehendes Baugerüst für die Filmkamera installiert, um «geile» Filmchen zu machen. Bei einem Picknick habe ein Tourist zusammen mit dem Apfelkern auch den Autoschlüssel in die Schlucht ­geworfen. Das habe dann eine längere Abseil- und erfolgreiche Suchaktion ausgelöst, erzählt der Bezirkschef. «Lustige und traurige Ereignisse wechseln sich ab. Doch eines steht fest, am ­Sustenpass wird es nie langweilig», resümiert Fritz Thierstein.

Text: Felix Maurhofer
Fotos: Emanuel Freudiger

Passunfälle seit 2011

1. Maloja: 419
2. Susten: 346
3. Oberalp: 321
4. Flüela: 295
5. Grosser St. Bernhard: 215
(nur Schweizer Seite)
6. Furka: 196
7. Grimsel: 156
8. Gotthard: 133
9. Albula: 130
10. Nufenen: 127
11. Simplon: 114
12. San Bernardino: 26

Angaben: Astra 

Fakten Susten 
Länge: 45 km
Höhe: 2224 m ü. M.
Bau: 1938–1946
Kosten: 32 Mio. Franken
Verkehrsspitzen: 2000 Fahrzeuge/Stunde

Steckbrief 
Name: Fritz Thierstein
Funktion: Bezirkschef Polizeibezirk Meiringen
Alter: 61
Dienstjahre: 37
Hobbys: Wandern und Velofahren

Susten

Steckbrief 
Name: Peter Flück-Urfer
Funktion: Strassen­inspektor Oberland-Ost
Alter: 49
Dienstjahre: 1
Hobbys: Jodeln und Skitouren

Susten
 
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