Fukushima 2011: Als Folge der Tsunamikatastrophe kommt es in weiten Teilen Japans zu erheblichen Stromengpässen und Blackouts. Während viele Menschen buchstäblich im Dunkeln sitzen, stehen schon damals tausende Elektro- und Hybridautos mit vollen Akkus in den Garagen. Energie, die – theoretisch – genutzt werden könnte, um Lampen zum Leuchten zu bringen, Handys zu laden oder den Kühlschrank mit Strom zu versorgen. Nur: Die Fahrzeuge sind nicht dafür gemacht, Energie zurück ins Netz oder ins Haus zu speisen. Die wertvollen Energiereserven bleiben brachliegen. Dies veranlasst die Regierung Japans noch im selben Jahr, die japanischen Hersteller zu verpflichten, ihre E-Autos so auszurüsten, dass der Stromfluss in beide Richtungen, also bidirektional, möglich ist.
Knapp zehn Jahre später findet das bidirektionale Laden auch den Weg in die Schweiz. Seit Dezember 2020 entwickelt das Start-up «sun2wheel» intelligente Lade- und Speicherlösungen für private Haushalte, Mehrfamilienhäuser und KMU. In Kombination mit Strom aus der Fotovoltaikanlage verspricht das Unternehmen eine erhebliche und finanziell attraktive Optimierung des Eigenverbrauchs. Gegründet wurde «sun2wheel» von IT-Spezialisten, Solarexperten, der EVTEC AG und dem Tessiner E-Mobilitätspionier Marco Piffaretti. «Das Potenzial von Solarstrom ist längst nicht ausgeschöpft. Doch die Sonne scheint nun mal nicht immer, wenn wir ihre Energie auch brauchen. Die Lösung zur Optimierung des Eigenverbrauchs liegt in der Speicherung», sagt Piffaretti. Gleichzeitig nehme die Anzahl E-Autos zwar rasant zu, doch wie die Verbrenner würden auch diese Fahrzeuge die meiste Zeit des Tags stehen. Die Reichweite eines gewöhnlichen E-Auto-Akkus betrage heute etwa dreihundert Kilometer, im Schnitt würden aber nur dreissig bis vierzig Kilometer pro Tag zurückgelegt. «Für den täglichen Gebrauch – ausser für Ferienfahrten oder längere Ausflüge – sind die Akkus überdimensioniert. Das wollen wir nutzbar machen», so der Firmengründer.
Konkret bedeutet das: Der von der Solaranlage auf dem Dach überschüssig produzierte Strom wird im Auto gespeichert und kann mittels der bidirektionalen Ladestation zur gewünschten Zeit ins Haus zurückgespeist werden. Durch Vehicle-to-Home (V2H), wie es im Fachjargon heisst, lässt sich Solarstrom auch bei Dunkelheit nutzen – zum Kochen, Fernsehen, Waschen oder zum Heizen der elektrisch betriebenen Wärmepumpe. Doch: Wie viel Strom muss aus dem Auto gesogen werden, um einen Haushalt zu versorgen? Und: Besteht nicht die Gefahr, dass der Akku am Morgen leer ist? Marco Piffaretti rechnet vor: «Ein typisches E-Auto hat eine Kapazität von fünfzig bis sechzig Kilowattstunden, und ein durchschnittlicher Haushalt verbraucht pro Tag zehn bis fünfzehn Kilowattstunden. Das heisst: Mit nur zwanzig Prozent Akkukapazität kann das gesamte Hausbedürfnis eines Tags mit Strom gedeckt werden.» Hinzu komme, dass sich das ganze System per intelligenter App steuern lässt und man einen Mindestladestand im Auto definieren kann, zum Beispiel achtzig Prozent. Die Angst, am Morgen vor einem leeren Auto zu stehen, sei also unbegründet.
Ausser in Japan steckt die Technologie weltweit noch in den Kinderschuhen. Grund dafür ist, dass es heute noch wenige Automodelle auf dem Markt gibt, die dafür gerüstet sind. Zurzeit sind das der Leaf, e-NV200 und Evalia von Nissan, der i-MiEV, Outlander und Eclipse Cross von Mitsubishi sowie der Honda e, der Peugeot iOn und der Citroën C-Zero. Die Hoffnung, dass sich das Fahrzeugangebot schon bald markant ausweitet, ist jedoch gross. Gegen Ende 2022 soll die ISO-Norm 15118 eingeführt werden, welche Festlegungen zur bidirektionalen Kommunikation zwischen Elektrofahrzeugen und Ladestationen enthält. Viele Hersteller, zum Beispiel VW, haben angekündigt, dies künftig zu unterstützen.
Etwas weiter in die Zukunft gedacht, berge das bidirektionale Laden auch ein enormes Potenzial für das gesamte Stromnetz. «Die Autos können den gespeicherten Strom auch ins Netz zurückspeisen, wir sprechen hier von Vehicle-to-Grid (V2G). Sind viele Fahrzeuge angeschlossen, können sie das Netz in Zeiten der Spitzenauslastung durch das sogenannte Peak-Shaving unterstützen und zum Beispiel vor Stromausfällen schützen», erklärt Marco Piffaretti. Das E-Auto, so der Mobilitätspionier, sei nicht netzgefährdend, sondern netzschonend und somit Teil der Lösung.
Bis dahin bleibt es vorerst ein Nischenprodukt, was auch den hohen Preis von 13 000 Franken für die «two way»-Ladestation von «sun2wheel» erklärt. Wer kein geeignetes Auto besitzt, aber bereits heute Sonnenenergie für die Eigennutzung speichern will, erhält vom Unternehmen mit Sitz in Kriens (LU) auch eine Lösung für die stationäre Speicherung. «Wir bieten zwei Arten der Speicherung an, einmal mit Rädern
und einmal ohne», sagt Piffaretti. Bei der Version ohne Räder würden «alte» Nissan-Akkus verwendet. Sie eigneten sich ideal für ein zweites Leben als stationäre Batterie, zum Beispiel in der eigenen Garage, und hielten problemlos mindestens noch zehn Jahre. Dazu würde sich auch ihre Grauenergiebilanz verbessern.
Das Angebot von «sun2wheel» hat schliesslich auch den TCS überzeugt, der das Start-up aktiv unterstützt. Dazu Bernhard Bieri, Direktor Club beim TCS: «Wir begleiten unsere Mitglieder ins Zeitalter der E-Mobilität, indem wir sie beraten, mit unserer Expertise unterstützen, aber auch konkrete Lösungen fürs Laden zu Hause und unterwegs anbieten. Da in diesem Thema häufig auch integrierte Lösungen für die Energieerzeugung und -nutzung nachgefragt werden, arbeiten wir mit ‹sun2wheel› zusammen.»
Weitere Informationen: sun2wheel.com/tcs
Text: Dominic Graf
Illustrationen: Nicolas Kristen
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