Hätte sich BMW auch ohne Giovanni Michelottis geniale Designerhand dermassen entwickelt? Die Frage ist berechtigt, denn er trug massgeblich zur Entstehung der Neuen Klasse und damit zum anhaltenden Erfolg der bayerischen Marke bei. Allein diese Episode widerspiegelt den Einfluss des Turiners auf das Autodesign seiner Zeit. Der vor 101 Jahren geborene Giovanni Michelotti verstarb bereits 1980. Doch er war äusserst produktiv. Seine Entwürfe wurden zur Basis für mehr als 1200 Autos, wovon einige in wenigen Exemplaren, andere zu Hunderttausenden produziert wurden. Neben BMW war er in den Sechziger- und Siebzigerjahren für Triumph und auch die niederländische DAF ständig als Designer tätig.
Nichts prädestinierte den Jungen, der sich mit sechzehn Jahren in kurzen Hosen beim Turiner Designer Farina einfand, zu einer solchen Laufbahn. Kaum ein Jahr später beförderte ihn der von seiner Kreativität faszinierte Chef nach dem Austritt des bisherigen Stelleninhabers zum leitenden Designer. Gut gerüstet macht sich Giovanni Michelotti 1949 selbstständig und eröffnet ein Studio für Autodesign. Es ist der Beginn einer Erfolgsgeschichte, die Aufträge fliegen ihm nur so zu. Davon zeugen die kürzlich von seinem Sohn Edgardo digitalisierten 6000 Zeichnungen und 15 000 Fotos.
Michelotti arbeitete als selbstständiger Designer mit allen namhaften Karosseriebauern, insbesondere Vignale. Es war die Zeit, in der viele Modelle auf Anfrage in einem oder wenigen Exemplaren auf Fahrgestellen etwa von Ferrari und Maserati entwickelt wurden.
Michelottis Handschrift – noch immer nahezu anonym – wird die damaligen Massenmodelle prägen. Auf Anregung des österreichischen BMW-Händlers Wolfgang Denzel zeichnet er einen fortgeschrittenen Prototyp der künftigen Isetta 700. Denzel stellt den Entwurf der Geschäftsleitung der damals stark angeschlagenen Marke vor. Sie heisst das Projekt des ersten BMW für den Massenmarkt gut. Es folgen der BMW Neue Klasse und all seine Varianten, die den Ruhm der Bayern begründen.
Edgardo Michelotti verriet uns, dass sein Vater nur ausgereifte Prototypen präsentierte. Das tat er auch bei einem Treffen mit Harry Webster, technischer Direktor von Triumph, dem er am Genfer Salon drei Varianten zeigte. Der Vertrag kam zustande, und fast alle Triumph-Modelle wie die legendären Cabriolets TR4/5 oder der Spitfire trugen die Handschrift des Turiners.
Ohne von seinen eleganten und sportlichen Formen abzuweichen, nahm Giovanni Michelotti gekonnt die Stileigenheiten der einzelnen Länder auf, zu einer Zeit, als Autos noch nicht globalisiert war. Doch weigerte er sich stets, für einen Markenstil verantwortlich zu zeichnen. Das führt dazu, dass er einen lukrativen Vertrag ausschlug, bei dem ihm der Generaldirektor von General Motors freie Hand bei der Höhe des Gehalts gelassen hatte. Dem unermüdlichen Schöpfer aus Turin war auch das Arbeitsklima wichtig. So erzählt sein Sohn, dass in der Werkstatt Musik im Radio lief und der Vater Hockey mit Radiergummis spielen liess, wenn die Angestellten erschöpft wirkten. Im Grunde gab es nur wenig, was Giovanni Michelotti bedauerte, so etwa den Ausschluss von der Entwicklung des Triumph TR7. Dessen Erfolg war kläglich. Es fehlte die Handschrift des Meisters …
Giovanni Michelotti kam häufig in der Karosseriewerkstatt Ghia Aigle vorbei, um seine Kreationen zu überwachen. Dort fällt ihm 1952 Dany Brawand auf, ein achtzehn Jahre junger Praktikant aus Vevey. Michelotti ist von seinem Zeichentalent begeistert und bietet ihm an, sein erster Lehrling in seinem Studio in Turin zu werden. Der junge Mann ergreift die Gelegenheit sofort und reist nach Italien, wo er viele Jahre beim grossen Karosseriebauer mitwirkt. Zunächst einfacher Assistent nimmt er allmählich grösseren Einfluss bei der Entstehung vieler Karosserien, insbesondere der Coupés und Cabriolets für den Autobauer Moretti. Nach einem Rechtsstreit mit Michelotti wird Dany Brawand 1965 entlassen und avanciert zum Designdirektor bei Moretti. Wir verdanken ihm unter anderem das Coupé Moretti 850 Sportiva, dessen bauchige Kotflügel an den Fiat Dino Spider erinnern. Nach der Schliessung von Moretti im Jahr 1989 war er als Berater tätig und arbeitete unter anderem am Kompaktvan Fiat Multipla.
Text: Marc-Olivier Herren
Fotos: Olivier Vogelsang, Archivio Storico Michelotti ASM
Michelotti Ginevra
Am Genfer Salon 1968 wollte Giovanni Michelotti ein Konzeptfahrzeug ausstellen, das einen Vorgeschmack auf den Triumph Stag geben sollte. Als Harry Webster, technischer Direktor der britischen Marke, sah, dass dieser Prototyp dem zur Vermarktung vorgesehenen Modell sehr nahe kam, lehnte er dessen Ausstellung ab. Er befürchtete, das prächtige Coupé könnte die Konkurrenz inspirieren. Allerdings waren es nur noch drei Wochen bis zur Eröffnung des Salons. Webster liess sofort ein TR5-Chassis nach Turin liefern und gab Michelotti freie Hand, auf dieser Basis ein völlig neues Auto zu entwerfen. In der wenigen verbleibenden Zeit gab das Turiner Team alles und brachte schliesslich den Michelotti Ginevra Spider hervor. Das Auto war eines der wenigen Werke, das den Namen des Meisters trug. Giovanni Michelotti, von bescheidener und zurückhaltender Natur, forderte nie, dass sein Name auf seinen Entwürfen stand. Sohn Edgardo erklärt, dass der Vater stolz auf seine Werke war, aber es nicht nötig hatte, damit anzugeben. Sprachen seine Werke doch für sich.
Ghia-Aigle – exklusive Autoschmiede
Zu den zahlreichen Kooperationen,
die Giovanni Michelotti unterhielt, gehörte auch die Karosseriewerkstatt Ghia Aigle. Das 1948 gegründete Unternehmen war in Aigle, im Waadtländer Chablais, ansässig. Ziel war, exklusive Autos für den Schweizer Markt zu bauen, um die enormen Zölle der Nachkriegszeit zu umgehen. Die Gründer hatten ausgehandelt, den Namen Ghia von einem der berühmtesten, damals in Schwierigkeiten steckenden Karosseriebauer Italiens zu erhalten. Die Bezeichnung «Aigle» kam hinzu, um die beiden Unternehmen klar zu unterscheiden. Für Ghia Aigle entwarfen Mario Boano und Michelotti Autos. Oft entstanden nur einzelne Exemplare. Die Firma stand für extravagante Modelle wie den Alfa Romeo 1900C (Bild oben). Michelotti arbeitete bis 1957 mit Ghia Aigle zusammen, nach ihm kam Pietro Frua. Ab den Sechzigerjahren ging das Geschäft des Karosseriebaus zurück. Ghia Aigle konzentrierte sich auf die üblichen Karosseriearbeiten, bevor das Werk 1988 schloss. Die Produktion wird auf mehrere Hundert, bei Sammlern sehr gefragte Exemplare geschätzt.
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