Text: Juliane Lutz, Dominic Graf
llustration L’atelier cartographik,
Fotos Marie Contreras, Sarah Brandini, Giuliano Crameri, Ludovic Pizzera, Emanuel Freudiger
Wo sich der Oktober von seinen schönsten Seiten zeigt – ob das bunt gefärbte Blätter sind oder
das Röhren von Hirschen in der Brunft. Wandervorschläge für alle Schweizer Sprachregionen bis hin zur überraschenden nächtlichen Pilatusbesteigung.
An schönen Tagen sind die Temperaturen ideal zum Wandern. Nebelschwaden hängen über Wiesen und Wäldern, und die Natur treibt es bunt. In goldenem Gelb erstrahlen die Lärchen in Graubünden, während der Herbst das Laub der Merlot-Weinreben in den Rebbergen um Bellinzona rötlich verfärbt. Braun in allen denkbaren Schattierungen präsentieren sich die Gräser im Wandergebiet der Gastlosen, während auf dem Weg von den Rochers de Naye nach Montreux das Ocker der Weiden mit dem noch frischen Grün der zahlreichen Büsche entlang der Strecke kontrastiert. Auch die Schweiz hat ihren Indian Summer, den man auf Wanderungen ganz intensiv erlebt.
1. Blauer See und herbststille Weiden
Die Zahnradbahn führt von Montreux hoch auf den Hausberg Rochers de Naye hinauf. Dort bietet sich ein Panoramablick auf den Genfersee, die Alpen und Weiden, deren Gras einen ockerfarbenen Ton angenommen hat. Die 13,2 Kilometer lange Tour geht erst steil nach unten bis nach Les Dentaux. Richtung Caux – auch der Kurort ist für seine Aussicht bekannt – schlängelt sich der Weg an einer Felswand entlang. Nach Glion wird er in der Gorge du Chauderon zum wildromantischen Pfad, der an mit Efeu bewachsenen Felswänden vorbeiführt.
2. Felszacken und grüne Arven
Die Gastlosen sind mit ihren Kalkzacken ein grandioser Anblick. Im Herbstlicht scheinen sie oft zu leuchten. Erst geht’s von Jaun mit dem Sessellift zum Mauzes Bergle. Ab da führt der 10,9 Kilometer lange Rundweg durch den Stillwasserwald, vorbei an auf Felsbrocken thronenden Arven zum Chalet du Soldat. Steinig wird’s Richtung Wolfs Ort, der mit 1915 Metern über Meer höchste Punkt der Strecke. Der letzte Teil verläuft an der Südflanke der Gastlosen an Trockenweiden mit braun gewordenen Gräsern und Geröllfeldern entlang durch den Mattenwald.
3. Hirschbrunft und gelbe Pracht
Die Val Trupchun ist der wildreichste Teil im Nationalpark. Wer sich vom Parkplatz Prasüras in S-chanf – jeder zweite der 705 Bewohner spricht dort rätoromanisch – auf den 13,9 Kilometer langen Rundweg macht, wird jetzt Hirsche röhren hören. Ihre Brunftzeit beginnt Ende September. Mit Glück kann man auch Adler, Gämsen und Steinböcke beobachten. Und Mitte Oktober erstrahlen die vielen Lärchen im Tal schön golden.
4. Rotes Weinlaub und alte Steine
Der 9,1 Kilometer lange Weg startet in Monte Carasso bei Bellinzona. Wanderer passieren Weinberge mit schön verfärbtem Laub und können bei Winzern roten Merlot probieren. Ein Höhepunkt ist Curzútt mit seinen alten Steinhäusern und dem Kirchlein San Barnárd. Die historische Siedlung bietet einen wunderbaren Ausblick in die in Herbstfarben getauchte Magadinoebene. Eine weitere Attraktion ist dann die 270 Meter lange Hängebrücke Carasc, die 130 Meter über dem Boden schwebt.
Der Pilatus gehört zu den beliebtesten Ausflugsbergen der Schweiz. Statt mit der weltweit steilsten Zahnradbahn, lässt sich der Drachenberg auch zu Fuss bezwingen. Zum Beispiel mitten in der Nacht, wenn die Dunkelheit zum Freund wird.
«Vorsicht: Kuh!» Noch bevor man sich vergewissern kann, ob man den Wanderleiter richtig verstanden hat, erscheint sie im Kegel der Stirnlampe. Die verdutzten Blicke der Gruppe erwidert das Nutztier, das sich zur Nachtruhe mitten auf den Weg gelegt hat, mit unaufgeregten, müden Augen. Schliesslich ist es drei Uhr in der Früh – eine Zeit, in der auch die Zweibeiner ruhen sollten. Nicht so die drei Frauen und vier Männer, die sich um Mitternacht in Alpnachstad (OW) auf den Weg gemacht haben, um ihrem Biorhythmus zu trotzen und sich auf 2118 Metern über Meer mit dem Sonnenaufgang zu belohnen. In knapp fünf Stunden legen sie rund neun Kilometer und 1680 Höhenmeter mit ungefähr 14 000 Schritten zurück. Auf der Wanderskala des Schweizer Alpen-Clubs entspricht die Route der Kategorie T2, die der SAC wie folgt definiert: «Weg mit durchgehendem Trassee. Gelände teilweise steil. Absturzgefahr nicht ausgeschlossen.» Ist der Aufstieg schon bei Tageslicht nicht zu unterschätzen, wird der Körper in der Nacht zusätzlich herausgefordert. Doch die Dunkelheit birgt auch einen Vorteil – vor allem für die nicht ganz so Wandererprobten. Aber dazu später mehr.
Der Pilatus. Diese majestätische Erhebung am Fusse des Vierwaldstättersees. Dieser sagenumwobene Berg, der die Einheimischen einst mit Furcht, heute mit Stolz erfüllt. Dieser Touristenmagnet mit seiner Weltrekord-Zahnradbahn und 800 000 Besuchern pro Jahr. Von zwei Seiten erreichbar – Alpnachstad und Kriens –, gehört er zwar nicht zu den höchsten, aber mit Sicherheit zu den bekanntesten Bergen der Schweiz. Wobei der Begriff Berg nicht ganz korrekt ist. Genau genommen handelt es sich um ein Massiv, bestehend unter anderem aus den Gipfeln Esel, Oberhaupt, Klimsenhorn, Matthorn, Widderfeld und dem Tomlishorn, mit 2128 Metern der höchste Punkt. Ursprünglich als Frakmont benannt (Lateinisch «fractus mons», gebrochener Berg), erhielt er im 15. Jahrhundert seinen heutigen Namen. Eine von mehreren Erklärungen für die Namensänderung geht auf Pontius Pilatus zurück. Der Legende nach habe der Präfekt Roms, der Jesus in Jerusalem zum Tode verurteilte, hier in einem kleinen See seine letzte Ruhestätte gefunden. Überall dort, wo man ihn zuvor bestatten wollte, in Rom, Lyon und Lausanne, hätte er verseuchtes Wasser und heftige Stürme ausgelöst. Schliesslich wählte man den Frakmont, da der Berg ohnehin für seine ständigen Unwetter bekannt war. Obwohl an dieser Erzählung ziemlich sicher nichts Wahres dran ist und der Pilatussee mittlerweile ausgetrocknet ist, hat sie den Ruf des Luzerner Hausbergs geprägt. Genauso wie die zahlreichen Sagen um Drachen, die den Pilatus im Mittelalter bewachten und Unheil über ungebetene Gäste brachten. Bis ins 16. Jahrhundert war die Begehung des Drachenbergs deshalb verboten.
Die Wandergruppe wird, abgesehen von einem Alpensalamander, keine Drachen sehen. Selbst wenn es die Fabelwesen tatsächlich gäbe, sie wären wohl unbemerkt geblieben. Die Sicht und die Konzentration beschränken sich nämlich die meiste Zeit auf den steinigen Pfad vor den eigenen Füssen. Von der imposanten Umgebung, der Aussicht, den Felswänden sowie der Flora und Fauna bekommt man fast nichts mit. Das ist einerseits schade. Andererseits, und damit kommen wir zum Vorteil der Nachtwanderung, sieht man auch nicht, wie weit sich der Zickzackweg noch hinzieht. Für die beiden Herren (der Autor dieser Zeilen eingeschlossen), die mit jedem Schritt und Höhenmeter mehr Mühe bekunden, ist die Dunkelheit ein regelrechter Segen. Wer weiss, ob sie nicht wieder umgekehrt wären, hätten sie das Ziel ständig vor Augen gehabt. Doch auch für die anderen, die fitten Teilnehmenden, ist das Wandern in der Nacht ein besonderes Erlebnis. «Ich bin froh, dass ich nicht sehe, wie steil es ist. Aber am meisten fasziniert mich der Sternenhimmel mitsamt Sternschnuppen», sagt Rahel aus dem Aargau. Iris, ebenfalls Aargauerin, pflichtet ihr bei: «Ich fühle mich hier den Sternen näher», sagt sie während der viertelstündigen Pause auf der Alp Ämsigen, wo sich auch die Mittelstation der Zahnradbahn befindet. Für die Bernerin Susanne, die gerade für einen Halbmarathon trainiert, sei die Reaktion ihres Körpers spannend: «Mitten in der Nacht in dieser Höhe aktiv zu sein, kann ihn schon durcheinanderbringen.» Ralph aus Kriens begeht den Pilatus mehrmals im Jahr, heuer jedoch zum ersten Mal bei Nacht. Auch für ihn eine interessante Erfahrung, wobei ihm vor allem das Miteinander in Erinnerung bleiben wird: «Wir sind eine zusammengewürfelte Truppe, die sich zu einem Team zusammengeschweisst hat. Man hilft und pusht sich gegenseitig bis auf den Gipfel. Das finde ich wunderbar.» Wanderleiter Daniel Müller (wanderfreudig.ch) nickt. Auch er empfindet es nicht als selbstverständlich, dass eine Gruppe so gut harmoniert. Fünf-, sechsmal im Jahr führt der 55-jährige Innerschweizer Gäste bei Tag oder bei Nacht auf den Pilatus. «Das Besondere bei Nacht ist, dass die Sinne, die beim Wandern sonst nicht sehr gefragt sind – das Hören oder Riechen – intensiver funktionieren.» Ausserdem sei es für ihn immer wieder magisch, wenn die Nacht auf dem Berg dem Tag zu weichen beginnt.
Noch ist es Nacht. Doch die Lichter der Hotels Bellevue und Pilatus-Kulm sind schon zum Greifen nah. Ein letzter, zäher Aufstieg. Noch einmal brennen die Beine bis zum letzten, erlösenden Schritt auf den Beton des Kulms. Durchatmen. Ein Schluck Wasser. Umziehen. Kaffee. Warten. In den Hallen, in denen tagsüber die Touristenmassen wie in einem Taubenschlag umherwuseln, ist es im Innern der Gipfelanlage in den letzten Momenten der Nacht andächtig ruhig. Um kurz nach fünf Uhr beginnt sich der Himmel zu erhellen. Der Blick schweift über die Lichter Luzerns und die silbernen Arme des Vierwaldstättersees. Am orangeroten Horizont erheben sich die Rigi und andere Gipfel zu Silhouetten. Wahrlich magische Minuten.
Gerade als sich die Beine zu erholen beginnen, zeigt Daniel auf den steilen Treppenstieg, der auf den Esel führt. Noch einmal zehn Minuten beissen. Noch einmal fünfzig Höhenmeter. Oben auf dem 2118 Meter hohen, dem zweithöchsten Pilatusgipfel angekommen, dauert es nicht lange, bis sich die Sonne feuerrot im Osten zu erkennen gibt. So, als käme sie nur für uns allein heraus – als Belohnung für die tapferen Wanderer, die sich nun zahlreich auf der Aussichtsplattform tummeln und den Moment mit ihren Smartphones festhalten.
Der Tag ist mittlerweile angebrochen. Von der Nacht und der magischen Dämmerung sind nur noch Erinnerungen und die müden Beine übrig. Zeit für die sieben Wanderer, den Rückweg anzutreten. Doch dieses Mal werden die Beine verschont, hinunter geht es mit der Zahnradbahn. Während der halbstündigen Fahrt offenbart sich das Bergmassiv und der zurückgelegte, steile Pfad in all seiner brachialen Schönheit. Wie ein Drache, der im Schlaf gezähmt wurde.
Diese Reportage wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Pilatus-Bahnen AG.
Anreise Alpnachstad (OW)
Bahn: ab Luzern Bahnhof mit der S5 (Richtung Giswil) bis Alpnachstad. Halbstundentakt.
Auto: Autobahn A8 Richtung Sarnen/Interlaken, Ausfahrt Alpnachstad. Parkplätze an der Talstation, E-Ladestationen beim Bahnhof.
Schiff: ab Luzern (Landesteg 2) verkehrt von Mai bis Oktober stündlich ein Kursschiff nach Alpnachstad. Erste Fahrt: 8.38 Uhr, letzte Fahrt: 16.38 Uhr. Dauer: ab 47 Minuten.
Anreise Kriens (LU)
Bus: ab Luzern Bahnhof Bus Nr. 1 (Kante A) Richtung Kriens/Obernau bis Haltestelle «Kriens, Zentrum Pilatus».
Auto: Autobahn A2 Richtung Luzern, Ausfahrt Luzern Süd/Kriens. Parkplätze sowie vier E-Ladestationen an der Talstation.
Anforderungen
Der Aufstieg erfordert keine besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse. Dennoch sollte die körperliche Anstrengung – besonders bei Nacht – nicht unterschätzt werden. Da es auch im Sommer und Herbst auf dem Gipfel kühl sein kann, empfiehlt sich Wechselkleidung.
Buchung
Die Sonnenaufgangswanderung kann online auf der Website der Pilatus-Bahnen AG gebucht werden.
Preis: 180 Franken pro Person, inklusive ausgebildete Wanderleitung, Frühstück und Ticket für die Talfahrt.
Durchführung ab vier Teilnehmenden und nur bei guter Wetterprognose. Letzte Tour 2025: 11. Oktober.
pilatus.ch/aktivitaeten/sonnenaufgangs-wanderung
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