Reportage: Jérôme Burgener
Fotos Bill Bowen (2), Visit Detroit, Charles Falsetti, Motown Museum, Jason Keen, jb, Karte Keystone
Was haben das McNamara-Terminal am Flughafen von Detroit, das Institute of Arts (DIA) und der Comerica Park, das Stadion der Tigers-Baseballmannschaft, gemeinsam? All diese Orte zieren stellenweise Keramikfliesen von Pewabic. Die 1903 in Detroit gegründete und für ihre schillernden Glasuren bekannte Töpferei ist eine der ältesten, die im Land noch in Betrieb ist.
2018 wurde Pewabic mit der Dekoration der Haltestellen der QLINE, dem neuen öffentlichen Verkehrsnetz von Detroit, betraut. Eine Buslinie verbindet das Stadtzentrum (Rosa Parks Transit Center) sogar direkt mit der historischen Werkstatt der Traditionsmanufaktur. Beim Betreten der Töpferei fällt der Blick sofort auf Fliesen mit für Pewabic charakteristischen Motiven: Sie verbinden die Ästhetik des Jugendstils mit Einflüssen aus der einheimischen Industrie. Das freundliche Team führt einen gerne durch das kleine, der Geschichte von Pewabic gewidmete Museum, in dem auch Vasen mit aktuellen Kreationen dieser ganz besonderen Glasuren ausgestellt sind.
Einige Unikate wie auch die reguläre Kollektion sind im Laden der Töpferei erhältlich. Gleich dahinter befinden sich die Werkstätten, in denen Vasen, Schalen und Fliesen gestaltet werden. Um tiefer einzutauchen, kann man nach Voranmeldung an einem einstündigen Workshop teilnehmen und lernen, wie man Fliesen glasiert.
Noch mehr Kunst – und hoch spannende dazu – bietet das Detroit Institute of Arts. Im DIA begnügt man sich nicht damit, Werke aus aller Welt wie die zeitlosen Klassiker von Bruegel oder Caravaggio zu zeigen, sondern stellt auch zeitgenössische Künstler, insbesondere Native Americans, aus. Das Prunkstück aber bleiben zweifellos die «Detroit Industry Murals» von Diego Rivera, finanziert von Edsel Ford, Henry Fords Sohn. Der mexikanische Maler erschuf das Werk zwischen 1932 und 1933 direkt vor Ort. Es bedeckt die vier Wände des Rivera Courts, der teilweise auch mit Pewabic-Fliesen ausgestattet ist. Riveras Werk zeigt die vielfältigen Facetten des industriellen Lebens und die Dualität von Natur und Technologie sowie von Erschaffung und Zerstörung. Es ist leicht, sich in den vielen, mal ironischen, mal provokanten Details zu verlieren, die auf Dutzenden von Quadratmetern verteilt sind. Um sich voll und ganz auf die Werke einlassen zu können, sollte man besser ein paar Stunden zur Erkundung der unzähligen Galerien des DIA einplanen. Durch die Gänge zu laufen, macht hungrig. Eine gute Idee für eine Pause ist das Baobab Fare, in den letzten Jahren eines der gefragtesten Restaurants in Detroit. Das Ehepaar Hamissi Mamba und Nadia Nijimbere aus Burundi bietet dort Spezialitäten aus Ostafrika an. Das Nyumbani (zartes geschmortes Rindfleisch und Spinat mit Erdnüssen) mit säuerlichem Passionsfruchtsaft ist denkwürdig und wartet mit wenig bekannten Aromen auf.
Zum Abschluss des Abends im Stadtzentrum ist die Wahl klar: Es geht in den Deluxx Fluxx, ein Club mit aussergewöhnlichem und radikalem Design. Phosphoreszierende Illustrationen des Künstlerduos Faile zieren die Wände, gepaart mit ultraviolettem Licht, das die Farben explodieren lässt. Preiswerte Getränke, gute Musik und ein begeistertes Publikum machen diesen Ort zu einem Muss im Nachtleben von Detroit. Nach einer erholsamen Nacht – sehr empfehlenswert ist das Roost Apartment Hotel im prachtvollen Book Tower, mit Sicherheit eines der beeindruckendsten Gebäude in Detroit – bietet sich ein Besuch der Innenstadt an.
Das Fisher Building sollte man auf alle Fälle als Erstes ansteuern. Mit seinen 130 Metern Höhe gilt es als «das schönste Kunstobjekt in Detroit» und als Meisterwerk des Architekten Albert Kahn. Der von der Maya-Architektur inspirierte Wolkenkratzer wurde nie fertiggestellt: Aufgrund der Weltwirtschaftskrise wurde zwischen 1927 und 1928 nur die erste von drei Bauphasen realisiert. Dennoch bleibt es ein majestätisches Gebäude, dessen Innendekorationen sehr aktuell wirken. Weitere Tower lohnen den Besuch, man braucht bloss durch die Innenstadt zu schlendern.
Nach diesem Überangebot an überdimensionierten Gebäuden tut es gut, Hitsville U. S. A. (Hauptstadt der Hits) zu besuchen. Der Name mag anmassend klingen, ist aber Tatsache. Hitsville war der Hauptsitz von Motown Records, wo einige der bekanntesten Songs der Welt entstanden. Der Besuch des heutigen Museums erinnert daran, wie sehr Titel wie «My Girl» (The Temptations), «Reach Out I’ll Be There» (The Four Tops) oder «I Want You Back» (The Jackson 5) die Geschichte der weltweiten Popkultur prägten. Die Hauptattraktion dort ist und bleibt das Tonstudio, in dem diese Klassiker entstanden sind. Zur weiteren Erkundung des musikalischen Erbes der Stadt drängt sich das Trendviertel Canfield geradezu auf. Dort befindet sich ein weiterer Hauptsitz, nämlich von Third Man Records, das Label von Jack White von den White Stripes («Seven Nation Army»). Man betritt zunächst einen eher klassischen Musikladen, der Hunderte von Platten anbietet. Ein Grossteil wird direkt vor Ort vom Label produziert. Spannend wird es hinten im Raum: Durch eine grosse Glasfront lässt sich direkt beobachten, wie in der Schallplattenfabrik die LP und Singles hergestellt werden.
Nachts erscheint der Hauptbahnhof als imposantes und prachtvoll beleuchtetes Bauwerk. Daher empfiehlt es sich, das neoklassizistische Juwel gegen Abend zu besichtigen und dabei gleich Corktown, das historische irische Viertel Detroits und neue Eldorado des Nachtlebens, ein wenig zu geniessen. Zum Aperitif empfiehlt sich die Bar Supergeil mit ihrer breiten Auswahl an Cocktails, darunter einige ziemlich ausgefallene: etwa der Over Under mit Roggenwhisky, gemischt mit dem Magenbitter Underberg und geräucherter Ananas oder für alle, die das Dessert vor dem Essen nehmen möchten, der Pale Blue Dot, ein Mix aus Blue Hawaiian und Painkiller, darauf Schlagrahm und ein Cracker …
Herzhafte Gerichte stehen in Slows Bar BQ auf dem Programm. Das Restaurant bietet eine reichhaltige Küche mit Fokus auf Fleisch. Zu den Spezialitäten gehören Rinderbrust, gestapelt serviert, und das unverzichtbare Yardbird, das
zu den drei besten Sandwichkreationen der USA zählt. Mit seinem Pulled Chicken und knusprigem Speck wird es selbst die anspruchsvollsten Gaumen zufriedenstellen.
Ein Abstecher zum Ford Piquette Avenue Plant ist ein Muss in Detroit, egal, ob man Autos mag oder nicht. In dieser relativ kleinen Fabrik entstand ab 1904 der Wagen, der sich zum Prototypen des modernen Automobils entwickeln sollte: das Modell T. Die einstige Fabrik ist heute ein Museum zu Ehren dieses Autos. Die Guides verstehen es, mit Humor die wichtigsten Momente wieder aufleben zu lassen, von der Entwicklung des Modells T bis zum Mai 1927, als der fünfzehnmillionste Ford T vom Band lief und die Produktion kurz darauf eingestellt wurde. Wer will, kann mit einer Besichtigung eines aktuellen Bestsellers der Marke fortfahren, nämlich bei Ford Rouge. Es ist keineswegs übertrieben, von einer futuristischen Vision zu sprechen, wenn man die Präsentationsshow beschreibt. Darin nimmt der Pick-up F-150 vor den Augen der Besucher in einem Spektakel nach Hollywoodmanier Gestalt an. Heroische Musik und dröhnende Bässe inklusive. Danach findet die Führung statt. Zweieinhalb Quadratkilometer Werksgelände stehen für die Produktion des Modells zur Verfügung, das nach dem Toyota Corolla mit 43 Millionen verkauften Einheiten das zweitmeist verkaufte Auto aller Zeiten ist.
Diese Reise wurde durch Visit Detroit ermöglicht.
Reise-Check
Anreise:
Es gibt keine Direktflüge von der Schweiz aus. Am schnellsten ist es, ab Genf oder Zürich mit KLM nach Amsterdam zu fliegen, und von dort aus mit Delta Airlines nach Detroit. Die Reise dauert in der Regel elf Stunden.
Wohnen:
Roost Apartment Hotel, geräumige Zimmer im historischen Book Tower mitten im Stadtzentrum.
myroost.com
Essen und Trinken:
Le Suprême, französische Küche zwischen Klassik und Moderne, im Book Tower.
lesupremedetroit.com
Parc, kreative Gerichte in gehobener Location. Tipp: flambierte Burrata.
parcdetroit.com
Buddy’s, wo die Pizza à la Detroit entstand. Unglaublich knusprig und weich zugleich. Dazu ein extra für Buddy’s gebrautes Bier.
buddyspizza.com
The Yard, ideal, um abends im Corktown-Viertel etwas trinken zu gehen. Wer Lust hat, kann im Innenhof des Lokals Axtwerfen üben.
theyardcorktown.com
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