Stil im Verkehr mit Jeroen van Rooijen
Pessimisten mosern ja gerne darüber, dass die heutige Welt bald nur noch aus "Likes" besteht – Sie wissen schon, Daumen hoch, Herzchen und Kudos, die Ermunterung auf den üblichen Social-Media-Plattformen. Alles sei nur noch liebenswerte Oberfläche, unverbindlicher Kuschelkitsch. Solches Meckern befremdet mich immer wieder. Was soll daran falsch sein, sich ein bisschen Zuspruch zu geben?
Denn tatsächlich besteht ein guter Teil des real existierenden Daseins – und der virtuellen Welt! – aus Unzufriedenheit, Neid, Missgunst oder gar Hass. Wer auf der Strasse unterwegs ist, weiss das nur zu gut: Hätten Autos Ellbogen, so wären sie zehnmal so gross wie ihre Rückspiegel. Doch auch Velofahrer sind keineswegs allesamt wehrlose Schmusekätzchen. Sie fahren oft auf Teufel komm raus, wie Asphalt-Krieger um jeden Meter Strassenraum kämpfend. Sie spucken, treten und schimpfen, um schneller ans Ziel zu kommen und die anderen zu demütigen.
Ich finde das alles schräg und wenig zielführend. Und empfehle darum, die "Like-Kultur" der virtuellen Welt auch in die reale Welt zu übertragen – insbesondere ins Verkehrsgeschehen. Mit dem Daumen hoch geht's besser. Man ist sich ja nicht nur im öffentlichen, sondern auch im individuellen Verkehr – insbesondere im urbanen Raum – recht nahe. Da bietet es sich an, ein paar Komplimente zu verteilen. Ich praktiziere dies seit geraumer Zeit mit recht befriedigenden Ergebnissen – und zwar als Autofahrer wie als Velofahrer. Denn ich bin beides, je nach Einsatzgebiet, Strecke oder Transportvolumen.
An dieser Stelle eine kleine Klammerbemerkung: Ich denke, dass viele Akteure der scheinbar bis aufs Blut verfeindeten Fraktionen in Wahrheit doch beides sind – also Auto- und Velofahrer – und einfach nur den Hut wechseln, je nach Verkehrsmittel.
Nun also zurück zum "Liken". Es geht ganz einfach. Man verteilt Komplimente. Wortlos durchs geschlossene Fenster nebeneinander am Rotlicht stehend mit dem Daumen, wenn einer ein besonders schönes Vintage-Auto fährt. Oder verbal, wenn man einen Velofahrer überholt und ihm zum schönen Stahlross gratuliert. Das geht natürlich nur, wenn er auch wirklich ein solches fährt. Man kann aber auch schön angezogenen Menschen auf rostigen Drahteseln zuwinken. Mache ich ab und zu, viele reagieren verdutzt – doch es wirkt entspannend, entkrampfend, verbindend.
Entspannung und De-Eskalation: Das sind für mein Verständnis die Wege, die beschritten werden müssen, um die vergifteten Zustände auf den Strassen zu verbessern. Das geht natürlich nicht nur mit Höflichkeiten und Komplimenten, sondern setzt eine entsprechende Fahrweise voraus: Grosszügig sein, sich gegenseitig den Vortritt gönnen, vorausschauend dem anderen Raum geben – man hat es alles einmal in der Fahrschule gelernt. Also hat man es, wenn man es bewusst trainiert, auch schnell wieder intus.